DAS PROBLEM MIT DEN RATSCHLÄGEN - RATSCHLÄGE SIND BERÜHMT DAFÜR, NICHT BEFOLGT ZU WERDEN
Wenn Sie Lernenden Massnahmen vorschlagen, erteilen Sie damit auch Ratschläge.
Auch wenn dies eigentlich bekannt ist, macht es Sinn, sich über die Möglichkeiten und Grenzen solcher Ratschläge Gedanken zu machen.
Schlechte Erfahrungen mit Ratschlägen. Ein Ausbildner berichtet:
Einer meiner Lernenden brütet stundenlang über seinem Physikbuch. Verzweifelt bemüht er sich darum zu verstehen, worum es bei den Physikaufgaben geht.
Es nützte alles nichts.
Schliesslich wandte er sich an einen Nachhilfelehrer.
Dieser erzählet ihm nichts von der Physik. Aber er erläuterte dem Lernenden, wie er vorgehen musste, wenn er eine Physikaufgabe lösen sollte.
Die Erklärungen des Nachhilfelehrers haben Hand und Fuss. Dem Lernenden leuchtete es ein, dass er hier ein Weg kennenlernte, den er beschreiten konnte, wenn er Physikaufgaben lösen wollte.
Er bedankte sich herzlich bei seinem Lehrer und ging nach Hause.
Nach einiger Zeit musste er sich auf eine nächste Physikprüfung vorbereiten.
Und dann geschah es.
Der Lernende nahm das Blatt nicht hervor, auf dem stand wie er beim Lösen der Aufgaben vorgehen musste. Er machte sich ans Lernen und ging dabei so vor, wie er dies schon immer getan hatte:
Er brütete stundenlang über seinem Physikbuch. Verzweifelt bemühte er sich darum zu verstehen, worum es bei den Physikaufgaben ging …
Damit steht der Lernende nicht allein. Wie Sie sicher schon bemerkt haben, tritt dieses Phänomen häufig auf: Die Lernenden setzen die Massnahmen, die Sie ihnen vorgeschlagen haben, nicht in die Tat um.
Was lässt sich dagegen tun?
Drei Massnahmen helfen Ihnen weiter.
A
Rechnen Sie nicht damit, dass Ihre Massnahmen auf Begeisterung stossen. Und rechnen Sie schon gar nicht damit, dass die Lernenden diese Massnahmen vom nächsten Tag an umsetzen.
B
Rechnen Sie mit Rückfällen: Auch wenn die Lernende Ihre Massnahmen umsetzen, fallen sie ständig auf ihre alten Gewohnheiten zurück.
C
Sollte es mit dem Umsetzen nicht so recht klappen, bleiben Sie ruhig und freundlich. Aber bleiben Sie auch hartnäckig.
Warum dies?
Ein weiser Nachhilfe-stunden-Lehrer hat die Ausgangslage auf den Punkt gebracht.
‚Gute Ratschläge werden nicht allein deshalb umgesetzt, weil sie gut sind.‘
Doch warum ist dies eigentlich so?
Zu tun hat dies nichts damit, dass Lernende an Berufsschulen einen besonders störrischen und unflexiblem Menschenschlag darstellen. Es hat auch nichts damit zu tun, dass die heutigen Jugendlichen zu viel an ihren elektronischen Geräten kleben und deshalb im Vergleich zu früheren Jugendlichen geistig nachgelassen haben. Und falls Sie angesichts der Unbelehrbarkeit der Lernenden an Ihrem pädagogischen Geschick zweifeln: Schieben Sie entsprechende Zweifel beiseite. Das alles hat nichts mit Ihnen zu tun.
Der Grund ist ein ganz anderer.
Die Lernenden, die Sie vor sich haben, sind keine blutigen Anfänger, wenn es um schulische Angelegenheiten geht. Sie alle haben mindestens 9 Schuljahre hinter sich. In diesen Schuljahren haben sie unzählige Prüfungen abgelegt, und ebenso haben sie sich unzählige Male auf diese Prüfungen vorbereitet.
In der Art und Weise, in der sie sich auf die Prüfungen vorbereitet haben, sind die einzelnen Lernenden vielleicht sehr unterschiedlich vorgegangen. Eines aber ist bei allen Lernenden gleich: Bei jedem dieser Lernenden hat sich die Art und Weise der Prüfungsvorbereitung zu einer Gewohnheit verfestigt.
Und damit ist das Stichwort gegeben, das uns erklären kann, warum das Umsetzen von Ratschlägen so schwerfällt.
Wollen Lernende den einen oder anderen Ratschlag übernehmen, bedeutet dies, dass sie ihre alten Gewohnheiten aufgeben müssen: Sie dürfen bei der Prüfungsvorbereitung nicht mehr so vorgehen, wie sie dies schon seit Jahren tun.
Damit werden die Lernenden mit einem Problem konfrontiert, das so gut wie bei allen Menschen auftritt: Geht es darum, dass Menschen alte Gewohnheiten verändern, zieren sie sich – kaum etwas fällt den Menschen so schwer wie das Ausbrechen aus alten Mustern und damit auch das Aufgeben von alten Gewohnheiten. Menschen sind, wenn es um Gewohnheiten geht, von Natur aus schlicht und einfach stur.
Deshalb gilt für Sie: Wenn Sie anstreben, dass Ihre Lernenden Ihre guten Ratschläge in die Tat umsetzen, verlangen Sie sehr, sehr viel von ihnen.
Seien Sie von da her nicht überrascht, wenn dies nicht ohne Widerstände geschieht. Nehmen Sie es den Lernenden nicht übel. Denn schliesslich und endlich sind Lernende an Berufsschulen auch nur Menschen.
Und so kann man nur raten:
Bleiben Sie freundlich, ruhig und gelassen – aber bleiben Sie auch hartnäckig.
Wenn Ihnen klar ist, dass Ratschläge nur zögerlich umgesetzt werden, hat dies für Sie einen Vorteil: Sie rechnen nicht damit, dass beim Umsetzen alles glatt verläuft. Das aber gibt Ihnen jene Gelassenheit, die Sie brauchen, wenn Sie mit Lernenden arbeiten.
Diese Gelassenheit führt aber auch zu einer weiteren segensreichen Eigenschaft: Bleiben Sie hartnäckig.
Lassen Sie sich nicht vom Weg abbringen, den Sie eingeschlagen haben und arbeiten Sie weiterhin daran, dass die Lernenden die vorgeschlagenen Massnahmen umsetzen.
Literatur Hintergrundinformation
Das Buch ist aus der Arbeit mit Lernenden und damit aus der Praxis entstanden.
Daneben habe ich auch einen Blick in die Fach-literatur geworfen - es gibt einige Forscherinnen und Forscher, die sich mit der Frage beschäftigen, wann das Lernen gelingt und wann nicht.
Interessant sind in diesem Zusammenhang die Arbei-ten folgender Forscherinnen und Forscher - wenn Sie wissen wollen, was die Forscherinnen und Forscher herausgefunden haben, lohnt es sich, ab und zu deren Home-pages zu besuchen.
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